Dr. Vitor Gatinho ist Kinderarzt und bekannt dafür, medizinisches Wissen alltagsnah und verständlich auf Instagram zu teilen. Im Interview haben wir mit ihm über zwei wichtige Themen gesprochen: Ernährung und Augengesundheit bei Kindern. Dabei ging es auch um gängige Mythen, versteckte Gefahren – und worauf Eltern wirklich achten sollten.
Zucker ist kein Feind – aber auch kein Freund, wenn er ständig auf dem Speiseplan steht.
Dr. Vitor Gatinho
Kinderarzt und Influencer
@kids.doc.de
Wie lässt sich Kurzsichtigkeit bei Kindern frühzeitig erkennen?
Eltern merken oft zuerst, dass ihr Kind in der Ferne Dinge nicht mehr gut erkennt – zum Beispiel die Tafel in der Schule oder Straßenschilder. Manche Kinder kneifen die Augen zusammen, um besser sehen zu können, oder klagen über Kopfschmerzen nach dem Lesen. Auch häufiges Blinzeln oder ein auffällig kurzer Leseabstand kann ein Hinweis sein. Wichtig: Kinder sagen oft selbst nichts – deshalb ist eine augenärztliche Vorsorge spätestens zur Einschulung, besser aber schon vorher (z. B. mit drei Jahren) absolut sinnvoll.
Warum nimmt Kurzsichtigkeit (Myopie) bei Kindern in den letzten Jahren so stark zu?
Weil unsere Kinder heute fast den ganzen Tag auf kurze Distanzen fokussieren – Bildschirm, Tablet, Hausaufgaben, Smartphone. Und weil dabei oft eins zu kurz kommt: Tageslicht. Studien zeigen ganz klar: Kinder, die viel draußen sind (mind. 2 Stunden täglich!), haben ein deutlich geringeres Risiko, kurzsichtig zu werden. Der Mix aus zu viel Naharbeit und zu wenig Licht ist der perfekte Cocktail für Myopie.
Was können Eltern konkret tun, um einer Kurzsichtigkeit bei ihrem Kind vorzubeugen?
- Täglich rausgehen: idealerweise zwei Stunden, auch bei grauem Himmel
- Regelmäßige Bildschirmpausen einführen: Stichwort: 20-20-20-Regel
- alle 20 Minuten eine Pause
- für 20 Sekunden in die Ferne schauen
- am besten auf etwas, das mindestens sechs Meter entfernt ist (ca. 20 Fuß).
- Der Grund: Beim Nahsehen sind die Augenmuskeln dauerhaft angespannt – so wie ein Muskel, der ständig angespannt trainiert wird. Das kann dazu führen, dass sich der Augapfel im Wachstum zu stark verlängert. Die regelmäßige Entspannung durch den Blick in die Ferne schützt also aktiv vor Kurzsichtigkeit.
- Leseabstand beachten – mindestens 30 cm! Regelmäßige Kontrollen beim Augenarzt, besonders bei familiärer Vorbelastung. Kurz: Weniger Pixel, mehr echte Welt.
Karotten für gute Augen – ist da wirklich etwas dran? Welche Ernährungsmythen rund um kindliche Gesundheit gibt es, und was sagen Sie dazu?
Karotten enthalten Beta-Carotin, das unser Körper in Vitamin A umwandelt – und ja, Vitamin A ist wichtig fürs Sehen, vor allem für das Dämmerungssehen. Aber: Ein Mangel kommt bei uns eigentlich nur bei extrem einseitiger Ernährung vor. Also nein, Karottensaft ist kein Augenzaubertrank – eine ausgewogene Ernährung reicht völlig.
Andere Ernährungsmythen?
- „Zucker macht Kinder hyperaktiv“ – das ist der Klassiker. Und falsch.
Studien zeigen klar: Zucker führt nicht zu Hyperaktivität – auch wenn es sich für viele Eltern so anfühlt. Warum? Oft bekommen Kinder Süßes bei aufregenden Anlässen: Geburtstage, Feiern, Besuche. Es ist also nicht der Zucker, der die Kinder ausflippen lässt, sondern die Situation. - „Spinat macht stark wegen Eisen“ – entstand durch einen Kommafehler in einer alten Analyse. Spinat enthält Eisen, aber nicht in Superhelden-Mengen – und auch schwer Verwertbares.
- „Milch verschleimt bei Erkältung“ – es gibt keine belastbaren Belege dafür. Bei manchen kann das Gefühl im Hals etwas zäher sein, aber Milch macht nicht krank.
Fazit: Kinder brauchen keine Wundermittel – sondern bunte, natürliche Lebensmittel, gute Vorbilder und entspannte Tischgespräche.
Wie bewerten Sie den Einfluss von Süßigkeiten und Zucker generell auf die Gesundheit von Kindern?
Zucker ist kein Feind – aber auch kein Freund, wenn er ständig auf dem Speiseplan steht. Zu viel Zucker fördert Übergewicht, Karies und langfristig auch Erkrankungen wie Typ-2-Diabetes. Besonders tückisch sind versteckte Zucker in vermeintlich gesunden Lebensmitteln: Fruchtjoghurts, Frühstücksflocken, Smoothies.
Aber: Ein Stück Schokolade macht kein Kind krank.
Verbote machen Süßes oft nur noch spannender. Viel sinnvoller ist ein entspannter Umgang:
- Süßes nicht als Belohnung einsetzen
- bewusste Momente dafür schaffen (z. B. einmal am Tag zur Familienzeit)
- und Kindern erklären, was im Körper passiert
So lernen Kinder: Es gibt Süßes – aber eben nicht immer und überall.
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