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Kindergesundheit

Augen auf! Frühes Erkennen der Duchenne-Muskeldystrophie hilft betroffenen Kindern und deren Familien

Da einmal abgebaute Muskeln nicht wieder repariert werden können, ist die Früherkennung sehr wichtig. Foto: kryzhov via shutterstock

Wenn Kinder in ihrer Entwicklung langsamer sind als Gleichaltrige, ist das meist kein Grund zur Sorge. Schließlich entwickeln sich alle Kinder ganz individuell in ihrem eigenen Tempo.

In seltenen Fällen kann aber auch die Erbkrankheit Duchenne-Muskeldystrophie (DMD) hinter den Entwicklungsverzögerungen stecken: Die lebensbedrohliche Erbkrankheit DMD, von der etwa 1.500 bis 2.000 Kinder (hauptsächlich Jungen) in Deutschland betroffen sind, führt zu einem fortschreitenden Abbau der Muskeln.1-3 Da einmal abgebaute Muskeln nicht wieder repariert werden können, ist die Früherkennung sehr wichtig. Nur so kann man dem Muskelabbau zuvorkommen und das Fortschreiten der Krankheit verlangsamen.

Erkennen die Eltern oder der Kinderarzt die Zeichen der Muskelschwäche frühzeitig, kann rasch die Diagnose gestellt und eine gezielte und ganzheitliche Behandlung begonnen werden – für mehr Lebensqualität und eine höhere Lebenserwartung der Jungen und jungen Männer mit DMD.4

DMD näher betrachtet

DMD wird durch Veränderungen des Erbguts, sogenannte Mutationen, verursacht. Diese befinden sich im Bereich des Gens, das den Bauplan für das Eiweiß Dystrophin enthält.1,2 Die Mutationen bewirken, dass zu wenig oder schadhaftes Dystrophin gebildet wird. Dystrophin trägt wie ein Stoßdämpfer zur Stabilität von Muskelfasern bei und ist auch für deren Struktur wichtig.5 Durch den Dystrophinmangel gehen im Verlauf der DMD immer mehr Muskelfasern zugrunde, die nicht mehr regenerieren können und stattdessen durch funktionsloses Fett- und Bindegewebe ersetzt werden.6,7 Die Krankheit beginnt mit einer Schwäche der Bewegungsmuskeln im Becken- und Oberschenkelbereich und breitet sich im Laufe der Erkrankung auf die Atem- und Herzmuskulatur aus.

Bei DMD liegt der genetische Defekt auf dem X-Chromosom, einem der beiden Geschlechts­chromosomen. Daher bezeichnet man den Erbgang, mit dem die Krankheit vererbt wird, als „X-chromosomal“. Da Jungen im Gegensatz zu Mädchen nur ein einziges X-Chromosom besitzen, sind fast ausschließlich Jungen von der DMD betroffen.1,2

Früh erkennen heißt früh und gezielt behandeln können

Muskelfunktion, Lebensqualität, Gesundheit und Lebenserwartung lassen sich durch eine gezielte Behandlung verbessern.1,10 Diese beinhaltet unter anderem die Gabe von Medika­menten sowie Maßnahmen zur Unterstützung von Atmung, Herzfunktion, Gehfähigkeit, Ernährung sowie Sprechen und Schlucken.1 Hier nimmt die Physiotherapie eine zentrale Rolle ein. Nicht zuletzt berücksichtigt eine ganzheitliche Betreuung bei dieser schweren Erkrankung auch die psychische und soziale Situation der Patienten und deren Eltern.1

Allgemein gilt: Je früher DMD erkannt wird, desto besser und erfolgreicher lässt sich die Behandlung gestalten. Frühes Erkennen ermöglicht einen raschen Zugang zur bestmögli­chen Behandlung. Diese kann dazu beitragen, Komplikationen zu vermeiden, das Fort­schreiten der Krankheit zu verzögern und das Überleben der Betroffenen bis in das vierte Lebensjahrzehnt zu verlängern.1,11,12

Hat der Haus- oder Kinderarzt einen klinischen Anfangsverdacht, dass ein Kind an einer Muskeldystrophie erkrankt sein könnte, kann er zunächst eine einfache Blutuntersuchung veranlassen: die Bestimmung des Muskelenzyms Kreatinkinase (CK). Deutlich erhöhte CK-Werte (> 1.000 U/l) erhärten den Verdacht auf DMD.4,13

Bei Verdacht auf DMD rasch einen Spezialisten einschalten

Spätestens jetzt wird der Haus- oder Kinderarzt einen Neuropädiater hinzuziehen. Neuro­pädiater sind die Spezialisten für Nerven- und Muskelerkrankungen im Kindes- und Jugend­alter. Sie sind im deutschsprachigen Raum flächendeckend u. a. in sogenannten Muskelzentren zu finden – diese finden sich meinst in oder angebunden an Universitäts-Kinderkliniken und einigen Kinderabteilungen großer Kliniken. Der Neuropädiater kann bei den kleinen Patienten spezielle Untersuchungen durchführen: Gegebenenfalls wird dieser Spezialist dann eine genetische Untersuchung und Analyse der zugrundeliegenden Gen-Mutation (des Dystrophin-Gens) veranlassen.1,11,14,15 Dadurch kann eine verlässliche Diagnose einer DMD gestellt werden.1

Viele Fachrichtungen arbeiten zusammen

DMD ist eine äußerst komplexe Erkrankung, die unterschiedliche Organsysteme betrifft. Daher arbeiten Ärzte und medizinische Fachkräfte vieler Fachrichtungen, wie Orthopädie, Lungenheilkunde, Kardiologie oder Psychotherapie bzw. Psychosomatik bei der Betreuung der Patienten eng zusammen.1 Aufgrund seiner besonderen Expertise steht der Neuro­pädiater im Mittelpunkt der Versorgung des Patienten mit DMD. In der Regel übernimmt er die Aufgabe, die gemeinsamen Anstrengungen aller Beteiligten zum Wohl des betroffenen Kindes zu koordinieren.1

Auf welche Zeichen Sie konkret achten können

Bereits im Kleinkindalter können die ersten unspezifischen Anzeichen der Krankheit auftreten und bei folgenden Entwicklungsverzögerungen sollten Sie als Elternteil eines Jungen den Haus- oder Kinderarzt kontaktieren:

Frühe unspezifische Zeichen (bis Ende des zweiten Lebensjahres)

  • Ihr Kind kann den Kopf nicht selber halten mit 6 Monaten
  • Kein freies Sitzen mit 9 Monaten
  • Kein aktives Krabbeln mit 9 Monaten
  • Kein aktives Hochziehen in den Stand mit 12 Monaten
  • Kein Entlanghangeln an Möbel/Wand mit 15 Monaten
  • Auffälligkeiten beim Sprechen, Lernen, Verhalten im Vergleich zu Gleichaltrigen
  • Schlaffer, unkoordinierter und energieloser Gesamteindruck
  • Ihr Kind kann noch nicht frei gehen mit 18 Monaten

Muskuläre späte Zeichen (vom dritten bis fünften Lebensjahr)

  • Ihr Kind fällt häufig hin
  • Es hat Schwierigkeiten beim Rennen/Springen
  • Es hat Schwierigkeiten beim Treppensteigen
  • Es hat verdickte Waden
  • Ihr Kind geht auf den Zehenspitzen
  • Es hat einen „watschelnden“ Gang
  • Es hat weniger Ausdauer als Gleichaltrige
  • Es stemmt/zieht sich beim Aufstehen am eigenen Körper hoch

Ihr Arzt wird Sie in den meisten Fällen beruhigen können, dass die Anzeichen nichts mit der DMD zu tun haben. Falls doch Zweifel bestehen, bringt die Bestimmung des Muskelenzyms Kreatinkinase (CK) und gegebenenfalls das Aufsuchen eines Neuropädiaters weitere Klarheit. Glücklicherweise handelt es sich aber in den wenigsten Fällen um eine DMD.

Zeichen früh erkennen – Gehfähigkeit bestmöglich erhalten

Der Verlust der Gehfähigkeit stellt ein Schlüsselereignis der DMD dar: Gelingt es, die Gehfähigkeit so lange wie möglich zu erhalten, kann dadurch oft das Fortschreiten der Krankheit entscheidend verzögert werden. Eine Heilung der DMD ist bisher nicht möglich, jedoch können durch den rechtzeitigen Beginn geeigneter Maßnahmen Symptome gelindert, Komplikationen reduziert und die Lebensqualität verbessert werden. Deshalb ist das frühe Erkennen der Krankheit so wichtig. Weil jeder Tag zählt!

Referenzen

1. Bushby K et al. Lancet Neurol 2010; 9: 77-93.

2. Goemans N et al. Eur Neurol Rev 2014; 9: 78-82.

3. Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke e.V. https://wwwdgmorg/muskelerkrankungen/muskeldystrophie-duchenne-becker; abgerufen am 11.02.2018.

4. van Ruiten HJ et al. Arch Dis Child 2014; 99: 1074-1077.

5. Ervasti JM. Biochim Biophys Acta 2007; 1772: 108-117.

6. Blake DJ et al. Physiol Rev 2002; 82: 291-329.

7. Henricson E et al. PLoS Curr 2013; 5.

8. Annexstad EJ et al. Tidsskr Nor Laegeforen 2014; 134: 1361-1364.

9. Mah JK. Neuropsychiatr Dis Treat 2016; 12: 1795-1807.

10. Matthews E et al. Cochrane Database Syst Rev 2016; CD003725.

11. Laing NG et al. Clin Biochem Rev 2011; 32: 129-134.

12. Merlini L et al. Muscle Nerve 2012; 45: 796-802.

13. National Task Force for Early Identification of Childhood Neuromuscular Disorders. http://wwwchildmuscleweaknessorg; abgerufen am 09.02.2018.

14. Dent KM et al. Am J Med Genet A 2005; 134: 295-298.

15. Kalman L et al. J Mol Diagn 2011; 13: 167-174.

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